„Wie will man ein Land regieren, das 365 Käsesorten kennt?“ soll General de Gaulle einst gestöhnt haben. Präsident Emmanuel Macron wird es heute ähnlich gehen. Die Gelbwesten-Proteste wüten immer noch und legen jeden Samstag ganze Stadtteile lahm – und das trotz der vielen Zugeständnisse, die er seinem meuternden Volk in Aussicht stellte. Alle wollen, dass sich alles verändert, aber bitte ohne große Veränderung! Nur in einem scheinen sich die Franzosen politisch einig: Wenn es ums Essen geht. Da finden sie schnell klare Regeln: Es gibt Verfassungen für Würste, Gesetze für Brot und Geburtsurkunden für Käse und Weine.
Eine Säule der nationalen Eintracht ist seit Jahrhunderten das Baguette. Die meisten mögen es so: Die Kruste goldfarben, schön knusprig und gut durchgebacken, die Krume sollte jedoch weich bleiben, ein bisschen feucht, ohne jedoch zu kleben im Mund und eher nach Nuss, denn nach Hefe schmecken. Sechs Milliarden der Brotstangen werden jedes Jahr in ganz Frankreich konsumiert, 98% der Franzosen essen sie täglich. Der tägliche Gang zum Bäcker ist für die Franzosen so etwas wie eine heilige Staatsbürgerpflicht und wird sogar durch ein Gesetz geschützt: Als die Supermärkte Anfang der 1990er Jahre nämlich anfingen, industriell gefertigte Baguette als billige Massenware anzubieten, kam die erste Bäckereien-Krise, und die Legislative reagierte schnell: „Baguette Tradition“ darf sich heute nur noch nennen, wenn sie dem Reinheitsgebot entspricht und nur Weizenmehl, Wasser, Hefe und Salz enthält. Eine authentisch französische Brotstange muss zwischen 250 und 300 Gramm wiegen und 18 Gramm Salz pro Kilo Mehl aufweisen. Sie darf nicht kürzer sein als 55 und nicht länger als 70 Zentimeter.
Zum 25. Mal hat Paris dieses Jahr den Bäckereien-Wettbewerb um das „Beste Baguette von Paris“ ausgelobt, und der Sieger 2019 heißt Fabrice Leroy: Seine Boulangerie Leroy-Monti liegt in der Avenue Daumesnil Nr. 203 im 12. Arrondissement. Sein Baguette wurde unter etwa 230 anonymen Einlieferungen von der Jury zum besten gewählt. Er darf sich nicht nur über ein Preisgeld von 4000 Euro freuen und ein Jahr lang den Elysée-Palast und damit den Präsidenten Macron beliefern, sondern sich auch auf eine mindestens 30-prozentige Umsatzsteigerung freuen. „Mit dem Sieg habe ich wirklich nicht gerechnet“, wird der 43-Jährige zitiert. „Es war eigentlich nur eine kleine Spaßwette unter Kollegen. Ich bin erst seit zwei Jahren selbstständiger Bäcker, vorher arbeitete ich bei der Bahn.“
Leroy ist übrigens einer der wenigen Sieger der letzten Jahre, der Franzose ohne Migrationshintergrund ist. Der Franko-Tunesier Ridha Khadher, der 2013 gewann, hat die Aufmerksamkeit des Preises für eine internationale Karriere genutzt: Er eröffnete eine Franchise-Kette in den Emiraten, begleitete als Modellfall gelungener Integration Emmanuel Macron auf seinem jüngsten Staatsbesuch in Tunesien und veröffentlichte seine Autobiografie „La baguette de la République.“ Mag die Republik zur Zeit schwanken, das Baguette bleibt eine Säule der nationalen Einheit.