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Die Alchemistin

Großer Laufsteg für die niederländische Modedesignerin Iris van Herpen. Mademoiselle Lili freut sich auf eine spannendsten Modeausstellungen der Saison.   


Sie macht Hemdkragen aus Wasser oder aus Elektrizität Kleider und ist seit 2011 die experimentelle Magierin auf den Pariser Haute-Couture-Schauen: Vor vielen Jahren hatte ich mal die eindrückliche Gelegenheit, in Iris van Herpens kreativen Hexenkessel in Amsterdam zu blicken. Damals arbeitete sie an einer Kollektion, die das Phänomen des Magnetismus und die menschliche Haut zum Thema hatte. Ich war dabei, wie sich unter einem starken Magneten die Stacheln des Mond-Kleides wie Stalagmiten aufrichteten, eine Art tragbare Skuptur aus mit Metallpulver versetztem Flüssigkunststoff. Wie Narben- oder Piercingkleider Schicht für Schicht aus hautfarbenem Silikon gegossen wurden. 

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An den Wänden hingen Hunderte mit Nadeln aufgespießte Knochen, Zeichnungen von Skeletten und Wirbelsäulen, täuschend echte Hautlappen aus Silikon mit Narben und Piercingschmuck und fein wie Schmetterlingsflügel mit Lasercutter geschnittene Textilien. Das sonnendurchflutete Loft-Atelier im alten Amsterdamer Hafen wirkte wie ein obskures Geheimlabor von Hannibal Lecter im „Schweigen der Lämmer“. 


Ihre Kreationen sind permanente Grenzerweiterungen des Machbaren. Ob sie Wassertropfen zu transparenten Kragen gerinnen lässt oder Models unter Strom setzt und so Blitze tragbar macht, ob sie von Mikrobakterien nachempfundene neue Formen aus 3-D-Printern zaubert oder gleich eine ganze Sternengalaxie als Kleid entwirft wie für das Album-Cover „Biophilia“ der von ihr verehrten Sängerin Björk: Iris van Herpen sprengt technisch und ästhetisch den Rahmen dessen, was Mode bedeutet. Obsolet die Frage, ob das schon Kunst ist. 

Jetzt würdigt das Musée des Arts décoratifs die niederländische Modedesignerin, eine der avantgardistischsten Persönlichkeiten ihrer Generation. Die Retrospektive, die Mode, zeitgenössische Kunst, Design und Wissenschaft miteinander verbindet, ist eine sinnliche Entdeckungsreise in das Universum der Designerin, in dem Technologie und traditionelles Haute-Couture-Handwerk verschmelzen.


Die Ausstellung will sich ihrer Arbeit aus mehreren Perspektiven nähern: Etwa 100 ihrer Modeentwürfe treten in Dialog mit einer Auswahl zeitgenössischer Kunstwerke, Installationen, Videos, Fotografien und Objekten aus der Naturwissenschaft – für ein immersives Gesamterlebnis aus Licht, Raum und Musik. 

Die Ästhetik Van Herpens, die oft so wirkt, als würden sich die Kultfilme „Alien“ und „Naked Lunch“ zum Brunch treffen, ist übrigens keine Verneigung vor der Leinwandkunst. „Ich bin ohne Fernseher und Filme aufgewachsen“, verriet sie mir. Erst spät habe sie begonnen, ihre kinomatografischen Wissenslücken zu schließen – dank der DVD-Sammlung ihres Lebenspartners, dem Sounddesigner Salvador Breed, der die Musik für all ihre Modenschauen kreiert und der auch für diese Ausstellung den Soundtrack liefert.


„Iris van Herpen: Sculpting the Senses.“ Vom 29. November 2023 bis zum 28. April 2024, www.madparis.fr